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Psychische Probleme im Leistungssport

mind2win - Psychische Probleme

Von Hanspeter Gubelmann, mind2win

Wie steht es mit der mentalen, also psychischen Gesundheit unserer Schweizer Spitzensportlerinnen und -sportlern? Mit dieser Frage werde ich in letzter Zeit häufiger denn je konfrontiert. Kurz nach Abschluss der alpinen Skiweltmeisterschaft hätte ich wohl geantwortet: Schaut euch unseren Skistar Marco Odermatt an – total positiv, bodenständig, heimatverbunden, eine unterstützende Familie im Hintergrund wissend, strahlend, lebendig, im Gleichgewicht mit sich und seiner Umwelt, reflektiert und unglaublich performant und mit einer mentalen Stärke ausgestattet, die ihn zum Seriensieger reifen liess. Odermatt knüpft da an, wo Roger Federer bis zu seinem Rücktritt die Massen begeisterte; diese stupende, unglaubliche Leichtigkeit, mit der Spitzenleistungen im absoluten Topbereich regelrecht aufzublühen scheinen.

Zwischen Flourishing und Floundering

«Flourishing», so bezeichnet Keyes (2002) dieses leistungsförderliche Erblühen, welches wir in der Angewandten Sportpsychologie gerne als Zielbereich unseres Handelns definieren. Hier war Odermatt im letzten Ski-Winter «daheim». Auf der Grundlage psychischer Gesundheit entfaltet die mental starke Sportlerin ihre Leistungsfähigkeit optimal, um in der Wettkampfsituation zu reüssieren. Als Gegenstück dazu orientiert sich Keyes an der psychischen Krankheit, assoziiert mit klinischer Symptomatik (Floundering). In diesem Modell sind psychische Gesundheit und psychische Krankheit keine gegensätzlichen Enden eines Spektrums, sondern vielmehr getrennte, aber miteinander interagierende Kontinua. Dem theoretischen Modell zufolge können Sportler gleichzeitig blühen und psychisch erkrankt sein oder frei von psychischen Erkrankungen sein und sich in einem schlechten Zustand befinden.
Diese Überlegungen implizieren sowohl für Forschung wie auch für die Betreuungspraxis entsprechende Handlungsnotwendigkeiten. Zum einen muss der empirische Forschungsansatz erweitert werden, um die individuellen psychischen Profile ganzheitlicher abzubilden. Andererseits müssten diese Erkenntnisse auf der Anwendungsseite in differenziertere Unterstützungsmassnahmen hinsichtlich Prävention, Behandlung und kontinuierliche Betreuung münden.

Lucas Fischer: «Gewitter im Kopf»

Kürzlich begegnete ich dem ehemaligen Weltklasse-Athleten Lucas Fischer. Seinen Karriere- und Krankheitsverlauf beschreibt er in seinem 2017 erschienenen Buch: «Tigerherz – die Schicksalsgeschichte eines Spitzenturners mit Epilepsie». Noch berührender als dieser Text waren seine Schilderungen vor Wochenfrist in einem Referat «Das Tigerherz schlägt». Die Art, wie er nach vielen weiteren Rückschlägen (Verletzungen, Essstörung, Einsamkeit) sein «Gewitter im Kopf» überwand und Freundschaft mit seiner Krankheit schloss, wie er seinem Erleben und Empfinden Gestalt geben konnte, empfand ich als ausserordentlich beeindruckend. (Rück-)Halt findet Lucas heute in der Musik und im künstlerischen Ausdruck. Zusätzliche Energie und Licht gibt ihm der Aufenthalt in der Natur.

Auf dem Heimweg von diesem Referat fragte ich mich, ob die mentale Gesundheit im Leistungs- und Spitzensport von heute langsam schwindet? Sind die mitterweile dokumentierten Übergriffe im Schweizer Spitzensport – im Frauenkunstturnen, der Rhythmischen Gymnastik, im Synchronschwimmen, im Trampolinspringen, in Ballettschulen – unter anderem Ursache und Folge einer auch ethisch und psychologisch nicht mehr vertretbaren Spitzensportförderung? Bedrohen veränderte Rahmenbedingungen wie die Medialisierung, soziale Medien und andere Einflüsse (z.B. Pandemie) vermehrt die psychische Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler?

52% mit psychopathologischen Symptomen

Das mediale Echo auf eine repräsentative Studie zur mentalen Gesundheit im Schweizer Elite-Sport (Röthlin, Horvath, Ackeret, Peter & Birrer, 2023) fällt – gemessen an oben dargestellten Missständen – unaufgeregt aus. In den Medien dominiert die Aussage, dass prozentual Schweizer Sportlerinnen und Sportler gleichermassen von psychischen Problemen geplagt würden wie der Rest der Schweiz.
Ein Blick in die Daten des Forschungsberichts des Bundesamts für Sport lässt aber auch eine andere Betrachtungsweise zu. So kommt die Autorenschaft zum Schluss, dass «ein beträchtlicher Anteil der Sportler von Symptomen psychischer Störungen betroffen ist und dass mehr Massnahmen zur Verbesserung dieser Situation erforderlich sind». Ebenso fallen grosse Gruppenunterschiede auf. «So waren 52% der Athletinnen von mindestens einem Symptom einer psychischen Störung betroffen, verglichen mit 30% der männlichen Athleten. Zudem waren Verletzte am stärksten von depressiven Symptomen betroffen.»

Ein ähnliches Bild zeigt eine aktuelle Studie von Küttel, Durand-Bush & Larsen (2022), die individuelle Profile der psychischen Gesundheit von jungen dänischen Elite-Fussballern untersucht haben. Etwa jeder fünfte Sportler weist mittlere bis schwere Symptome einer psychischen Störung auf. Dabei zeigen sich Spielerinnen anfälliger auf Symptome psychischer Erkrankungen als ihre männlichen Kollegen. Bemühungen zur Förderung der psychischen Gesundheit müssten auf die individuellen psychischen Gesundheitsprofile der Spielerinnen und Spieler abgestimmt sein, die auf regelmässig durchgeführten Screening-Untersuchungen entwickelt werden müssten.

mind2win kann unterstützen

Das Beispiel von Lucas Fischer zeigt: Sportlerinnen und Sportler gehen im Vergleich zu früher offener, selbstbewusster und aktiver mit mentalen Schwierigkeiten um. Was sich im Verlauf der Jahre ebenfalls verändert hat: der Zugang zu kompetenter Fachberatung ist einfacher geworden. Wir von mind2win sind jederzeit gerne breit, auch in herausfordernden Situationen zu unterstützen.

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