Im Schweizer Spitzensport rumort es. Was mit den «Magglinger Protokollen» und massiven Übergriffen bei jungen Turnerinnen landesweit publik wurde, versetzte auch andere Sportarten in Aufruhr. So auch Artistic Swimming (ehemals Synchronschwimmen), wo der Dachverband Swiss Swimming nach diversen Vorfällen die Reissleine zog. Die ganzheitliche Strukturanalyse, mit der unsere sportlifeone-Partner mind2win beauftragt wurde, zeigt deutliche Schwachstellen auf und liefert einen Massnahmenkatalog, wie der notwendige Systemwechsel gelingen kann. Wird diese Systemanalyse einer Sportart auch zur Chance für die angewandte Sportpsychologie?
Von Cristina Baldasarre, Hanspeter Gubelmann und Philippe Müller
In der Wirtschaft gelten klare Regeln: kriselt eine Firma, wird für teures Geld eine Beratungsfirma eingesetzt, die dem Unternehmen neues Leben einhauchen soll. Grundlage dazu bildet meist eine aufwändig erstellte Analyse mit einem daraus abgeleiteten Massnahmenkatalog. Im Spitzensport ist dieses Vorgehen eher unüblich. Hierfür spezialisierte, unabhängige Anbieter sind im Schweizer Sport rar.
Umso erfreuter waren wir von mind2win, als uns im vergangenen Mai Michael Schallhart, Generalsekretär Swiss Aquatics, kontaktierte und nach nur einer Arbeitssitzung mit einem umfangreichen Mandat ausstattete. Dieses umfasste neben einer eingehenden Prüfung der bestehenden Verbandsstrukturen, Zuständigkeiten und Prozessabläufe vor allem auch rund 30 halbstrukturierte Interviews mit allen Verbandsverantwortlichen, diversen Trainerinnen, Preisrichterinnen und Athletinnen. Neben der beabsichtigten Ursachenanalyse sollte mit einem detaillierten Massnahmenkatalog mit kurz-, mittel- und langfristigen Veränderungsvorschlägen ein Systemwechsel anvisiert werden. Diese Analyse hatte „subito“ zu erfolgen – Ende Juli musste unser Schlussbericht vorliegen, so der sehr ambitioniert anmutende Arbeitsauftrag.
Im Fokus der Sportministerin
Warum es zu diesem Schritt kam, ja kommen musste, lässt sich mit dem von Sportministerin Viola Amherd in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht zu den Missbrauchvorfällen im Schweizer Sport in Verbindung setzen. In dieser über 800 Seiten starken Bestandesaufnahme im Schweizer Spitzensport ist der Grundtenor ein eindringlicher: «Wir wollen und fördern Leistungssport – aber nicht um jeden Preis».
Obwohl der Ursprung dieser Untersuchung auf gravierende Übergriffe im Kunstturnen und in der Rhythmischen Gymnastik zurückgeht (vgl. «Magglinger Protokolle»), wird explizit Artistic Swimming als weitere Problemsportart genannt: „Am schlechtesten schnitt in der Umfrage laut Bericht das Synchronschwimmen ab, mit signifikant höheren Werten bezüglich psychischer Gewalt (etwa Beschimpfungen und Drohungen), physischer Gewalt (etwa gewaltsames Dehnen und unterdrückte Grundbedürfnisse wie Trinken oder Toilettengang während des Trainings) und sexueller Belästigung (anzügliche Bemerkungen). Im Synchronschwimmen bestehe grundsätzlicher Handlungsbedarf.“
Aufräumen mit der „Vetternwirtschaft“
Der nun öffentlich zugängliche Bericht hält auf 28 Seiten fest, was die drei Autor:innen in monatelanger Recherchearbeit zusammengetragen haben. Die darin dargelegte Mängelliste ist lang, der Handlungsbedarf gravierend und die Dringlichkeit hinsichtlich notwendiger Veränderungen hoch.
mind2win wurde schon im Verlaufe der Analyse gebeten, im Rahmen eines Zwischenberichts einen kurzfristigen Massnahmenkatalog zu erarbeiten, um den Verbandsbetrieb trotz Krisenstimmung zu gewährleisten. Darüber hinaus zielen die meisten vorgeschlagenen Massnahmen auf einen mittel- und langfristigen System- und Kulturwandel ab. Dem Verband und allen involvierten Personen steht die Herkulesaufgabe bevor, diesen Prozess auch im Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu bewältigen. Bedeutend wird sein, wie Artistic Swimming auch von anderen Seiten Unterstützung erhält.
Erstes Fazit aus Sicht von uns von mind2win: Wir erachten es als höchst bemerkenswert, wie Swiss Aquatics an uns herangetreten ist und uns mit dieser anspruchsvollen Aufgabe betraut hat. Damit konnten wir uns in einem neuen Arbeitsbereich entwickeln und etablieren, was wir auch als Vertrauensbeweis in unsere breitgefächerte Expertise im Spitzensport werten.
Das ist eine gekürzte Version des Blogs, der für die Website «Die Sportpsychologen» verfasst wurde > Hier geht es zur vollständigen Version.