Bernhard Russi ist bis heute eine der grössten und bekanntesten Schweizer Persönlichkeiten. Er war zwar nie Bundesrat, er hat keinen Nobelpreis in Astrophysik gewonnen und war auch kein Popstar. Aber Bernhard war ein Leben lang sich selbst, trotz medialem Scheinwerfer stets bescheiden und – natürlich – in seinen Kompetenzfeldern stets bei den Weltbesten. Aus dem eleganten, pfeilschnellen Skirennfahrer, der an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen Abfahrtsgold gewinnen konnte, wurde später ein geschäftstüchtiger Unternehmer, der stets viele Bälle in der Luft jonglieren konnte. Der zugängliche Mann aus Andermatt hat stets gewusst, was er wollte und dennoch sagt der 74-jährige rückblickend, vieles habe in seinem Leben auf Zufall basiert.
Von Martin Zinser, Andermatt
Mit strahlenden Augen betritt Bernhard Russi die grossräumige Lobby des Hotel Chedi in Andermatt. Wir haben uns seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen. Eben ist er vom Skifahren zurück, hat einem 85jährigen ein Geburtstagsgeschenk gemacht. «Ich kann nur schlecht nein sagen, wenn solche Anfragen kommen», aber er entscheide halt oft aus dem Bauch heraus. Auch in seiner Karriere als Skirennsportler sei vieles spontan entstanden. Das Thema «Vorsorge» sei ihm damals gar nicht so bewusst gewesen, als ich ihm von den Dienstleistungen von sportlifeone erzähle. Zur Not – und das war in seinem Hinterkopf – hätte er jederzeit als Hochbauzeichner wieder eine Stelle suchen können. «Nach der Lehrabschlussprüfung bestand ich auch die Aufnahmeprüfung ans Technikum Luzern, wollte eigentlich Architekt werden – doch dann blieb ich im Skirennsport hängen.»
Gut so, denn sonst hätte die Schweiz ab 1970 kaum eine solche Erfolgsgeschichte miterleben dürfen: 1970 überraschender Abfahrts-Weltmeistertitel auf der berüchtigten Saslong in Gröden, 1972 Abfahrts-Olympiasieger in Sapporo. «Noch in Japan kam IMG-Gründer Mark McCormack und machte mir ein Angebot», erzählt er, als wär es gestern gewesen. Jean-Claude Killy, das damalige Alphatier des alpinen Skirennsports, habe ihm dringend geraten, beim weltweit grössten Vermarkter einzusteigen. Also rief Bernhard wenig später bei IMG an und liess ausrichten, er mache mit. 10 Weltcupsiege, zweimal Gewinner des Abfahrts-Weltcups, zweimal Schweizer des Jahres. Russi katapultierte sich ins Rampenlicht, erhielt Werbeverträge, die teilweise bis heute laufen. Der wohl bekanntestes Deal ist jener mit dem Schweizer Automobilimporteur Emil Frey AG. «Eigentlich war ich für eine Jaguar-Kampagne vorgesehen, doch dann sollte ich bei der Lancierung der Marke Subaru helfen», schildert es Russi, der bis heute auf die japanische Allradmarke schwört.
Wer Russi aus Altersgründen noch nicht als Skirennfahrer erleben konnte, erschien ihm vielleicht als Ski-Experte des Schweizer Fernsehens, als Blick-Kolumnist, als Pistenarchitekt diverser olympischer Berge oder als Visionär von Andermatt Swiss Alps. Dass Bernhard nicht immer Vollgas gab und auch eine verletzliche Seite hat, zeigte 2017 der Dokumentarfilm «Bernhard Russi – von hohen Gipfeln und tiefen Tälern», in dem der Protagonist tief in sein Inneres blicken lässt. Er verrät, dass Bernhard nicht alles zugeflogen ist, sondern er in seinem Leben auch schwere Schicksalsschläge zu verkraften hatte.
Russi legte als Sportler und Geschäftsmann zwei Traumkarrieren hin. Wie hat er eigentlich den Übergang von der ersten in die zweite Berufskarriere geplant? War es ein Abwägen von Vor- und Nachteilen, ein längerer Prozess, wie derzeit bei Skispringer Simon Ammann?
Russi verneint, er habe ein klares, inneres Signal erhalten und den Entscheid zum Rücktritt innert zwei Minuten gefällt. Als 30jähriger schloss er in Garmisch soeben die WM-Abfahrt auf Rang 14 ab, nachdem er die Trainings dominiert hatte. «Auf dem Heimweg ins Hotel habe ich mich plötzlich gefragt, wie lange ich das eigentlich noch machen wolle», blickt Russi zurück. «Zwei Minuten später war mich klar – das war es, ich trete zurück.» Es sei für ihn insbesondere eine Frage der Energie gewesen, der grosse Respekt vor all den Jahren und Jahrzehnten, die noch vor ihm stehen würden. Im Hotel angekommen habe er sofort den damaligen Verbandspräsidenten Dölf Ogi informiert, der ihn natürlich noch umstimmen wollte. «Du musst nicht vorbeikommen, ich höre auf», liess er Ogi abblitzen. Und drei Tage später trat er tatsächlich vor die Presse, gab seinen sofortigen Ausstieg bekannt und fuhr nie mehr ein Skirennen.
Bernhard Russi ging immer seinen Weg. Konsequent und zielstrebig. Er hörte in seinem Leben oft auf sein Herz und vertraute dem Bauchgefühl. Und der Kopf war stets klar, wo seine Wurzeln sind. In Andermatt, mitten in den den Urner Bergen.